Quarantaine
Mit der Krise, die das Corona-Virus weltweit auslöst, kehrt ein selten gebrauchtes Wort in unseren Alltagswortschatz zurück. Und mit ihm fällt uns das Kirchenjahr auf die Füße.
„Quarantäne“ – die Aussprache mit „k“ statt „kw“ verrät noch seine Herkunft aus dem Französischen. Gemeint ist die „quarantaine (de jours)“, die vierzig Tage, die potentiell Erkrankte in Isolation verbringen. Die Zahl ist gewählt in Anlehnung an die vierzig Tage, die Jesus nach seiner Taufe in der Wüste verbrachte, isoliert von jeder Ablenkung. So berichten es die ersten drei Evangelien der Bibel.
In diesen vierzig Tagen sucht Jesus Klarheit über seinen Weg und seine Berufung. Am Ende kann er drei Sätze sagen, die verführerische Unsicherheiten beenden:
- „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Auch nicht von jenem Brot, um das wir bitten und das nach Luther „was not tut für Leib und Leben“ umfaßt, „wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, … Geld, Gut, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit … und desgleichen“. Nicht davon allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes geht. Von dem, was du dir nicht selbst sagen kannst.
- „Du sollst Gott nicht herausfordern.“ Es nicht darauf ankommen lassen in der Erwartung, Gott werde das Schlimmste schon verhindern. Wer ist schon so verrückt, sich von der Zinne des Tempels zu stürzen im naiven Glauben, daß Gott ihn auffängt? Na, wir natürlich, die wir angesichts der nahenden Klimakatastrophe so weitermachen, als hätten wir Gottes Garantie, daß er sie am Ende doch noch verhindert.
- „Diene allein Gott.“ Versklave dich nicht, um Macht zu gewinnen oder zu erhalten. Begib dich nicht in Abhängigkeiten, um nach oben zu kommen. Die Faszination von Macht, Ansehen oder Reichtum ist trügerisch, wenn der Preis Selbstaufgabe lautet.
Nach den vierzig Tagen, die Jesus in Isolation Klarheit gesucht und gefunden hat, ist die Passionszeit des Kirchenjahrs gestaltet als eine Zeit des Suchens nach Klarheit vor dem Fest der Auferstehung. Idealerweise in Abgeschiedenheit fern aller Ablenkung. Aber wer findet dafür heute noch Ort und Zeit?
Nun haben wir sie uns selbst verordnet, die Quarantäne – Isolation und Entschleunigung, vierzig Tage der Vernunft, oder wie lange auch immer es dauern wird, dem gesundheitlichen Roulette-Spiel ein Ende zu setzen. Auch über Ostern, über Frühlingsmärkte, Mutter- und Vatertage, Konfirmationen und Meisterschaften hinaus. Wie lange werden wir brauchen?
Es begann mit Hamsterkäufen. Mit dem Diebstahl von Desinfektionsmitteln auf Kinderkrebsstationen. Was hülfe es dem Menschen, wenn er alles Klopapier der Welt gewönne? Einige fingen an, sich neu umzuschauen nach den Schwachen. Einkaufshilfen anzubieten. Vielleicht lernen wir auch noch, auf Balkonen zu singen.
Nach dieser Zeit werden wir jedenfalls nicht mehr dieselben sein, als einzelne, als Kirche, als Gesellschaft. Mit uns geht das Wort, das auch Jesus sich nicht selbst sagen konnte: „Du bist Gottes geliebte Tochter, Gottes geliebter Sohn.“
Ihr Pfarrer Andreas Höfeld