Menu
Menü
X

So jung, wie man sich fühlt?

 '

„Die Jugend“, schrieb der römische Kaiser und Philosoph Mark Aurel, „kennzeichnet nicht einen Lebensabschnitt, sondern eine Geisteshaltung. Sie ist Ausdruck des Willens, der Vorstellung und des Gefühls. Sie bedeutet den Sieg des Mutes über die Mutlosigkeit, Sieg der Abenteuerlust über den Hang zur Bequemlichkeit. Man wird nicht alt, weil man eine Anzahl Jahre gelebt hat. Man wird alt, wenn man seine Ideale aufgibt.“

Mark Aurel lebte im 2. Jahrhundert nach Christus. Er wurde 59 Jahre alt, so alt, wie ich kürzlich geworden bin. Seine Worte erinnern mich an einen Satz aus dem 103. Psalm, der Gott lobt als den, „der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler.“ Ich habe mich oft gefragt, ob denn Adler besonders jung sind und ob es nicht auch alte Adler gibt.

Aber wenn Jugend mehr ein Lebensgefühl als die Zahl der Jahre beschreibt, dann verstehe ich dieses Wort neu: Der Adler, der sich mit kräftigen Flügelschlägen immer wieder in die Luft aufschwingt, der mühelos Grenzen überfliegt, weil er sich von den Winden tragen lässt, ist ein Symbol für diese Jugend als Lebenshaltung, für Aufbruch und Energie, Wagemut und Ungeduld. Und Vertrauen auf das Unsichtbare, das uns trägt.
Die Einschränkungen der letzten anderthalb Jahre haben viele müde gemacht. Die Unvernunft gleichgeschalteter „Querdenker“, die sinnvollen Gedanken nicht mehr zugänglich sind und nur noch auf das hören, was ihre vorgefassten Meinungen bestätigt, zermürbt mich. Der resignierte Wunsch nach einem blinden Weiter-So verspielt unsere Zukunft.

Ich spüre die Trägheit, die sich überall breitmacht, und ich möchte das nicht. Es steht zu viel auf dem Spiel. Ich sehne mich nach dem Gott, „der dein Leben vom Verderben erlöst, / der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, / der deinen Mund wieder fröhlich macht, und du wieder jung wirst wie ein Adler“ (Psalm 103,4-5).

Am Sonntag wird ein neuer Bundestag gewählt, vielleicht der letzte, der verhindern kann, dass wir den Planeten an die Wand fahren. Manche resignieren und denken: Was kann denn meine einzelneStimme verändern? Was kann Deutschland als viertgrößte Industrienation der Erde schon bewirken? Solche Gedanken machen müde und – im Sinne von Mark Aurel – alt.

Am Sonntag werde ich vormittags 16 Jugendliche konfirmieren. Sie und ihre Altersgenossen haben auf viel verzichtet, um uns Ältere durch die Pandemie zu bringen. Und am Nachmittag gehe ich ins Wahllokal, um meine Stimme dafür einzusetzen, dass diese jungen Leute eine Zukunft haben, die sie gestalten können – im Vertrauen auf den Beistand des barmherzigen Gottes, den ich ihnen am Vormittag zugesprochen habe.

Ihr
Pfarrer Andreas Höfeld

top